Stuttgart-21-Arftefakte Zerstörte Bohrköpfe und Feinstaub aus der Tube
Angesicht des zerstörten Hartmetalls glaubt man fast das Knirschen und Ächzen der Bohrköpfe tief in Stuttgarts Untergrund zu hören – wie sie gerade den Kampf auf Biegen und Brechen gegen das harte Gestein am Hauptbahnhof verlieren. Hinter den Stahlungetümen an der Ausstellungswand dann der scheinbar federleichte – wenngleich ebenfalls problembeladene – Kontrast aus dem Stuttgarter Kessel: Neckartorstaub, gebunden in Geliermittel und als Relief gerahmt. Wem das zu sperrig ist, könnte auf eine Tube „Staubfarbe“ zurückgreifen, die der Künstler „Neckartorschwarz“ genannt hat. Erik Sturm hat die krebserregende Mischung aus Dieselruß und Reifenabrieb mit seiner EC-Karte von Mauern und Fensterbänken im wahrsten Sinn des Wortes zusammengekratzt. Den umstrittenen Stuttgarter Feinstaub verarbeitet er wie ein Pigment zu Tubenfarbe, um damit Gemälde zu erstellen.
Seit mehr als einem Jahrzehnt prägen die Bauarbeiten für Stuttgart 21 Sturms künstlerisches Schaffen. Dazu gehören neben Zeichnungen und Skulpturen auch viele beeindruckende Fundstücke aus der Großbaustelle sowie zahlreiche Fotografien, die von der schieren Gigantomanie des Bauvorhabens zeugen. Erik Sturms Atelier, das direkt an das Gelände von Stuttgart 21 und die vielbefahrene Willy-Brandt-Straße grenzt, bietet ihm dabei einen „Logenplatz“ für seine stillen Beobachtungen. Denn das ist er, ein Beobachter. Und natürlich auch ein Sammler und Jäger. Bei all seiner künstlerischen Expertise lässt sich Sturm dabei zu keinem Urteil über die „Umbrüche“ in seiner Stadt hinreißen, zu keinem Pro oder Contra zu Stuttgart 21.
Reflexion tiefgreifender Veränderungen im Zeitalter des Menschen
Erik Sturm sieht seine Aufgabe vielmehr darin, die stummen Zeitzeugen des städtischen Wandels zu sammeln und sie in seinen Arbeiten sichtbar zu machen. Sein Werk reflektiert die tiefgreifenden Veränderungen, die das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen, kennzeichnen. Sein Vorgehen gleicht dabei einer Art „Gegenwartsarchäologie“, sagt Carolin Wurzbacher, die als Kuratorin der Städtischen Museen Heilbronn schon mit Erik Sturm zusammengearbeitet und bei der Vernissage am 13. Oktober die Einführung übernommen hat. Die Grußworte in der Städtischen Galerie Ostfildern haben zuvor Oberbürgermeister Christof Bolay und Galerieleiterin Holle Nann gesprochen.
Zur Fotogalerie "Ausstellung in der Städtischen Galerie Ostfildern"
Die empfehlens- und sehenswerte Ausstellung ist bis zum 7. Januar 2025 in der Städtischen Galerie Ostfildern, Stadthaus Scharnhauser Park, Gerhard-Koch-Straße 1, zu sehen. Für kunstinteressierte Erwachsene und Jugendliche finden öffentliche Führungen an den Sonntagen 27. Oktober sowie 1. Dezember, jeweils um 16 Uhr statt. Reguläre Öffnungszeiten: Di, Do 15-19, Sa 10-12 und So 15-18 Uhr.