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Die Antwort des Stuttgarter Balletts auf Corona

Response I

Mit einer fulminanten Premiere hat das Stuttgarter Ballett die neue Spielzeit 2020/21 eingeläutet. Es ist die Antwort des Tanzens in Zeiten von Corona. Porsche weiter Hauptsponsor

Ballett ist Hochleistungssport

Die Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts haben dieses Jahr schon die ganze Corona-Klaviatur durchgespielt: Social distancing, Reisebeschränkungen, Veranstaltungsabsagen, Quarantäne und Tanztraining zu Hause in den begrenzten eigenen vier Wänden. Doch sie und ihr Intendant Tamas Detrich haben nicht aufgegeben. Als die ersten Lockerungen im Fußball erlaubt wurden, hat er den Behörden erläutert, dass auch Ballett ein Hochleistungssport ist, auch wenn es oft den Anschein der Leichtigkeit und Anmut vermittelt – was ja gerade die hohe Kunst ist. Daraufhin durfte die Kompanie langsam wieder anfangen, zu trainieren – unter strengen Sicherheitsauflagen, anfangs mit drei Tänzern und neun Metern Abstand. Dabei hat sicherlich auch geholfen, dass der vom Hauptsponsor Porsche mit zehn Millionen Euro geförderte Bau der neuen John-Cranko-Schule Ende Juni fertiggestellt werden konnte.

Stuttgarter Ballett, Porsche Sponsor, Redaktionsbüro Syntax Die großzügige Spende von Porsche ermöglicht die Fertigstellung der John-Cranko-Schule und damit neue Frei- und Tanzräume, zudem wurde das Sponsoring bis 2023 verlängert

Talentierte Tänzer/innen – wunderbare Choreographinnen und Choreographen

Doch natürlich brauchte es neben dem Raum auch eine Idee, ein Konzept für einen neuen Spielplan in Corona-Zeiten. Tamas Detrich sagt: „Wir haben beim Stuttgarter Ballett das Glück und den Luxus nicht nur wunderbar talentierte Tänzer/innen zu haben, sondern auch ganz wunderbare Choreographinnen und Choreographen.“ Sie alle erhielten von ihrem Ballettintendanten die Aufgabe, neue Stücke zu kreieren unter Berücksichtigung der aktuellen Situation mitsamt ihren Auflagen. Dazu gehörte auch, Musik auszusuchen, die zwar live, aber in kleiner Besetzung gespielt werden kann. Und so individuell die Choreographen, so individuell fiel ihre Response auf eine Situation aus, die unsere ganze Gesellschaft herausfordert.


"Something old, something new, something classic, something blue"

Stuttgarter Ballett, Porsche Sponsor, Redaktionsbüro SyntaxModernes und klassisches Ballett: Veronika Verterich in "Empty Hands" und Anna Osadcenko als sterbender Schwan

Nicht umsonst trägt Response I den Untertitel Something old, something new, something classic, something blue, der die Stimmungen des Ballettabends treffend auf den Punkt bringt. Das Motto ist abgeleitet von dem alten englischen Reim Something old, something new, something borrowed, something blue, nach welchem die Braut an Ihrem Hochzeitstag etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues mit sich tragen sollte. Dabei steht etwas Altes für Beständigkeit und Kontinuität, etwas Neues soll zu einem optimistischen Blick in die Zukunft verhelfen. Das Geliehene steht für Glück. Es wurde gegen „something classic“ ausgetauscht, wobei das klassische Ballett für viele gleichbedeutend mit einem Glücksfall sein dürfte. Das Blaue hingegen – eigentlich Synonym für Reinheit und Liebe – setzt mit der eher amerikanischen Deutung des Blues den melancholischen Kontrapunkt.


Eine faszinierende Mixtur aus neuen Werken und gefeierten Klassikern

Stuttgarter Ballett, Porsche Sponsor, Redaktionsbüro Syntax "Schatten"-Tänzer Shaked Heller am Boden bei "Petals" – "Lichtgestalt" Elisa Badenes tanzt das "Requiem"

Und so besteht die Antwort des Stuttgarter Balletts auf die Herausforderungen der letzten Monate aus einer Mixtur aus neuen Werken dreier junger Choreographen und aus beständigen Klassikern. Die größte Besonderheit des Abends ist vielleicht die Rückkehr des Pas de deux in den klassischen Abschnitten. Nachdem sieben Monate lang keine Paartänze auf der Bühne erlaubt waren, zeigt das Stuttgarter Ballett im Opernhaus auf großer Bühne gleich zwei Paradestücke des tänzerischen Duetts: Das Grand Pas de deux aus dem Märchenballett Dornröschen beschreibt die reine Klassik. Und die anspruchsvollen Hebungen und großen Emotionen im Spiegel Pas de deux aus John Crankos Onegin sorgen für großes, „traumhaftes“ Drama. Großes Ballett mit Tragik und Schmerz vermittelt auch Der sterbende Schwan während in dem Stück Solo drei Tänzer humorvoll und spielerisch wetteifernd über die Bühne fegen. Den Auftakt des Abends macht ein elegisches Solo aus Requiem, das Choreograph Kenneth MacMillans einst John Cranko widmete ­– hinreißend getanzt von Elisa Badenes, der ersten Solistin des Stuttgarter Balletts. Nicht dabei war Friedemann Vogel mit dem Highlight Bolero – was seinen guten Grund hatte: Er nahm an diesem Abend als große Auszeichnung den Deutschen Tanzpreis entgegen. Das Ausnahmetalent wird aber ab Dezember wieder in Stuttgart in Höhepunkte zu sehen sein.


Everybody needs some/body

Die Eckpfeiler mit aktuellem Corona-Blues-Bezug sind drei neue Werke von Fabio Adorisio, Roman Novitzky und Louis Stiens. „Empty Hands“ thematisiert die zwischenmenschliche Distanz und den Verlust, den viele in den letzten Monaten erleiden mussten. In Petals zeigen vier Akteure ein geheimnisvolles Zusammenspiel von einem Paar, welches sich kaum begegnet, und zwei Schattenwesen, die wie die unruhigen Träume und Sehnsüchte des „realen“ Tänzerpaars in Pandemie-Zeiten wirken. Der Titel des Stücks Everbody needs some/body spricht für sich: Keine Technologie der Welt – symbolisiert durch Schneiderpuppen – kann körperliche Nähe und direkte Interaktionen ersetzen. Das finale Stück zeigt eindrucksvoll, welch große Herausforderung und Einschränkung körperliche Distanz für Balletttänzer/innen sein müssen. Besonders berührend die Szenen, in denen wiederholt imaginäre Fenster geöffnet werden – und die getanzte Enttäuschung darüber, wenn aufgrund der Pandemie doch kein bekanntes Gesicht naht.

Stuttgarter Ballett, Porsche Sponsor, Redaktionsbüro SyntaxAbwechslungsreich: Everybody needs some/body mit Henrik Erikson und Daiana Ruiz und der traumhafte Klassiker Onegin: Pas de deux mit Hyo Jung-Kang und Jason Reilly 

Glückliche Tänzer – begeistertes Publikum

Das versierte Stuttgarter Publikum – darunter auch die unvergessene Birgit Keil und ihr Partner Vladimir Klos – erleben den Premierenabend von Response I hinter Corona-Masken im durch Abstandsregelungen ausgedünnten großen Haus. Was der Begeisterung allerdings keinerlei Abbruch tut. Und auch den Tänzerinnen und Tänzern steht die Freude darüber, endlich wieder vor Zuschauern tanzen zu dürfen, ins Gesicht geschrieben. Sie lassen sich mit mehreren Vorhängen feiern – und applaudieren schließlich gemeinsam mit ihrem Publikum dem Staatsorchester, das coronabedingt nicht im Orchestergraben, sondern in kleiner Besetzung im Bühnenhintergrund die Response auf ungewöhnliche Zeiten begleiteten.     

Stuttgarter Ballett, Porsche Sponsor, Redaktionsbüro SyntaxDas Stuttgarter Publikum feiert die Tänzerinnen und Tänzer und das im Bühnenhintergrund spielende Staatsorchester. Alle Vorführungen finden unter strengen Hygienevorschriften statt.

 

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RESPONSE I
Weitere Vorstellungen: 19. / 25. [nm/abd] Oktober und 03. / 06. / 08. / 09. / 10. Januar
Dazwischen Response II und ab Dezember Höhepunkte mit Bolero und Friedemann Vogel
Die Vorstellungen finden zurzeit ohne Pause statt. Laufzeit ca. 95 Minuten.

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